St. Peter und Paul, Neustadt a. Rbge.

Schleifenwindladen, mechanische Tastentraktur, elektrische Registertraktur, Generalsetzer 128fach, Sequenzer vorwärts und rückwärts, X = Doppelschleife,

Disposition: Bernward Arand, Christian Lobback
Gehäuseentwurf und Mensuren: G. Christian Lobback

Manual II C – g“‘ (Schwellwerk)

Bourdun 8′
Quintade 8′
Gamba 8′
Prinzipal 4′
Gedackt 4′
Nasat 2 2/3′
Trichterflöte 2′
Terz 1 3/5′
Scharf IV 1′
Basson 16′
Oboe 8′
Tremulant

Manual I C – g“‘ (Hauptwerk)

Bourdun 16′
Doppelprinzipal 8′
Flûte harmonique 8′
Rohrflöte 8′
Salicional 8′
Oktave 4′
Spitzflöte 4′
Quinte 2 2/3′
Oktave 2′
Mixtur IV 1 1/3′
Trompete 8′
Tremulant
II – I

Pedalwerk C – f‘

Subbaß 16′ X
Oktave 8′
Gedackt 8′
Choralbaß 4′
Rauschpfeife II 2 2/3′
Bombarde 16′
Trompete 8′ X
Zink 4′
II – P
I – P

Der luftgeborene Klang

Notizen anläßlich der Beendigung des Orgelbaues für die katholische Pfarrkirche St. Peter und Paul in Neustadt a. Rbge. © G.C. Lobback, 1997

Die bekannte Redensart, daß in einem architektonischen Entwurf „Musik“ steckt, gehört zum Berufsjargon vieler Architekten und mancher Orgelbauer. Hinter dieser rasch dahergesagten Bemerkung steht eine im abendländischen Denken tief verankerte Überzeugung von der inneren Verwandschaft der beiden Künste Musik und Architektur. Der Vergleich der Architektur mit der Musik leuchtet insofern unmittelbar ein, als sich auch die Architektur in ihrer plastisch-räumlichen Ausdehnung auf die Wahrnehmung und Erfahrung im Nacheinander, in der Zeit vollzieht. Daher kommt das Erlebnis der Baukunst dem der Musik nahe, die ausschließlich als organisierter Zeitverlauf existiert.

Die idealen neugotischen Kathedralen, die als religiöse oder patriotische Denkmäler ersonnen wurden und in den tatsächlich ausgeführten oder restaurierten Domen und Pfarrkirchen ein Abbild fanden, waren nicht nur als musikerfüllte Gehäuse gedacht, sondern als Kunstformen, in denen Musik, die Kunst im „allgemeinsten Sinn“ den „Hauptbestandteil“ ausmachen sollte (Karl Friedrich Schinkel). Bezeichnenderweise dachte sich Schinkel das Nationalmonument des Berliner Freiheitsdomes geschmückt mit Seraphinen, die heilige Musikinstrumente spielten, während der Turm mit der Apotheose der Cäcilia, der für himmlische Musik zuständigen Heiligen, verziert werden sollte.

So ließen auch die romantischen Schriftsteller ihre Helden Architektur und Musik in eins empfinden: „Der Gesang zog wie mit Wogen durch die Kirche, die ernsten Töne der Orgel schwollen majestätisch herauf und sprachen wie ein Sturmwind auf die Hörer herab“ (Ludwig Tiek). Die berühmteste solcher Formulierungen ist das Wort von der „Architektur als erstarrter Musik“, das Friedrich Wilhelm Schelling in seinen Vorlesungen über die „Philosophie der Kunst“ prägte.

Der Sache nach hat es eine in die Antike bis zur pythagoräisch-platonischen Harmonielehre zurück reichende Tradition. Hier möchte ich nun den Gedanken der harmonischen Weltordnung einführen. Harmonische Weltordnung – der Ordo-Begriff. Dieser wird immer mit dem Begriff Schönheit verbunden. Schönheit und Ordnung sind in die Welt gelegt und gewähren der Welt Gleichgewichtssicherheit. Es sind harmonikale Gesetze, die diesen Ordo-Gedanken als eine unentbehrliche Verfassung der Welt ausmachen. Diese musica perennis, diese ewige Musik, die in die Welt gelegt ist, bestimmt die Wesensverfassung der Welt.

Schönheit und Ordnung beruhen auf der Verschiedenartigkeit der Dinge. Gäbe es ausschließlich gleichgeartete und gleichgestaltete Substanzen, wäre alles öde Eintönigkeit. So aber gefiel es dem Schöpfer, mit der Verschiedenartigkeit, wie Kardinal Nikolaus von Kues sagt, zugleich eine solche Ordnungsmöglichkeit zu schaffen, auf daß die Ordnung, welche die absolute Schönheit ist, in allen Dingen widerstrahle.

So ist es nicht verwunderlich, daß die Proportion ein zentraler Begriff in der Harmonik ist. Die Tätigkeit des messenden Verstandes besteht darin, diese proportio mittels Messen zu finden. In jeder Proportion wird eine solche alteritas, eine Andersheit ausgesagt. Aber zugleich wird in jeder proportio eine übereinstimmung, eine convenientia, vorausgesetzt. Dieses messende Abwägen ist nicht möglich ohne die Zahl, die bei Nikolaus von Kues eine besondere Wertschätzung erfährt. Und so heißt es in seiner Schrift“ De docta ignorantia: Pythagoras, der erkannte, daß jede Wissenschaft nur durch Unterscheidung zustande kommen kann, hat über alles mittels der Zahl philosophiert. Weil Platon dieser Methode folgte, wird er zu Recht für groß erachtet.“

Die dem Verstand zugängliche Eigentlichkeit der Musik (Werner Schulze) besteht in den Zahlenverhältnissen. Dem Menschen ist diese proportionative Fähigkeit angeboren, die den Zahlengrundlagen der Musik adäquat ist. Bemerkenswert ist sicherlich, daß Nikolaus von Kues nicht der Zahl (numerus) als dem einzelnen Ton ein besonderes Gewicht zumißt, sondern immer der Proportion, dem Intervall.

Drei harmonikale Proportionen prägen das Klangbild der neuen Orgel von St. Peter und Paul: 1 : 2 (Oktave), 2 : 3 (Quinte) und 4 : 5 (Terz). Wer die Disposition (Zusammenstellung der Register) etwas genauer betrachtet, wird schnell feststellen, daß die 1 : 2 Proportion mit ihren Oberoktaven 1/4, 1/8 und 1/16 dominiert. Es ist der bei weitem überwiegende Zusammenklang der Orgel mit der ausgeprägtesten Konsonanz. Die Quinte 2 : 3 finden wir im Hauptwerk in der Quinte 2 2/3′ und im Schwellwerk im Register Nasat 2 2/3′ realisiert. Mit ihren Oktaven 1 1/3′, 2/3′, 1/3′ und 1/6′, die nur in den gemischten Stimmen vorkommen, ist sie nach der Proportion 1 : 2 die in der Dispostion am häufigsten anzutreffende Proportion. Lediglich ein Register im Schwellwerk, die Terz 1 3/5′ hat die Proportion 4 : 5.

Der Begriff harmonikal schließt die Vorstellung ein, daß dieses Wort ausschließlich auf die Harmonik der Musik bezogen ist. Es verhält sich aber genau umgekehrt. Die Harmonik der Musik wurde gebildet nach den Strukturgesetzen des Makro- und Mikrokosmos. „Die harmonikale Form, welche die Natur gestaltet, gestaltet auch unser Denken und Empfinden; die Denknormen, welche unsere Bewußtseins- und Empfindungsvorgänge gestalten, gestalten auch die Natur (Hans Kayser).

Dieser harmonikale Weltaspekt übt auf die Menschen seit jeher eine besondere Faszination aus. Es ist bekannt, daß Johannes Kepler, noch bevor er die Harmonik in seinem Forschungsbereich, der Astronomie, nachzuweisen versuchte, sich mit der musikalischen Harmonik befaßt hat. Kepler verdanken wir wesentliche Erkenntnisse über unser Sonnensystem. Die drei Keplerschen Gesetze beweisen, daß die Planetenbahnen und Planetenabstände harmonikale Verhältnisse haben. In seinem Werk treten mehr und mehr Notenbeispiele auf; die Melodie der Planeten, ihre Grundtöne werden notiert, und schließlich mündet diese kosmische Tonanalyse in einem ungeheuren Schöpfungsakkord aus, den das Planetensystem, allen Ohren unhörbar, unfaßbar, gleich einer Riesenorgel spielt (Hans Kayser).

Der Zentralkörper, die Sonne und die neun Planeten, die um die Sonne kreisen, haben alle ihren eigenen Grundton. Der Grundton der Sonne ist das Cis. Das Cis hat aber nur 0,000 000 031 688 782 Hz und klingt so tief, daß Menschen den Ton nicht hören können. Es gibt aber das Oktavgesetz; jedesmal, wenn die Schwingung verdoppelt wird, erscheint sie eine Oktave höher und mit dem Ursprungston im Einklang. Nach zahlreichen Oktavierungen hat man z.B. Cis (551 Hz) erreicht.

Dieser Sonnenton mit fünf weiteren Teiltönen (Quinte, Quarte, Terz, Septime und Oktave) ist als selbständiges „Register“ mit der Bezeichnung „Sonnenton“ in der neuen Orgel von St. Peter und Paul real vorhanden. über einen Piston im Spieltisch der Orgel kann das Register in Funktion treten. Wenn der Sonnenton erklingt, sollten wir uns hörend erinnern an die Musikanschauung des Nikolaus von Kues, deren theologischer Aspekt den wesentlichsten Gesichtspunkt ausmacht:

1. Gott entläßt aus sich die Natur, seine Schöpfung.
2. Kunst imitiert Natur; der Natur entströmt gleichsam die Kunst, weil die Kunst eine imitatio naturae darstellt.
3. Die Kunst verursacht die Freude des Menschen, ihre causa finalis ist die delectatio, die Freude.
4. Und diese Freude des Menschen wird nun Gott wiederum zurückgegeben.

Ich wünsche der ganzen Gemeinde, die durch tatkräftiges Eintreten den Bau dieser Orgel erst ermöglicht hat, daß sie mit dem Instrument die Schönheit der luftgeborenen Hörbilder ihres Naturklangs in ungetrübter Freude für eine lange Zeit erleben kann.