Namen Jesu, München
Disposition der Orgel II/31 (Lobback, 1996)
Schleifenwindladen, mechanische Tastentraktur, elektrische Registertraktur, Generalsetzer 128fach, Sequenzer vorwärts und rückwärts, X = Doppelschleife
Disposition: Stefan Ludwig, Friedemann Winklhofer, Pfr. Alfred Giglberger, Christian Lobback
Gehäuseentwurf und Mensuren: G. Christian Lobback
Manual II C – g“‘ (Schwellwerk)
Bourdun 8′
Gamba 8′
Vox coelestis 8′
Prinzipal 4′
Flûte oct. 4′
Nasard 2 2/3′
Octavin 2′
Terz 1 3/5′
Larigot 1 1/3′
Plein jeu IV 2′
Basson 16′
Hautbois 8′
Clairon 4′
Tremulant
Manual I C – g“‘ (Hauptwerk)
Prinzipal 16′
Oktave 8′
Flûte 8′
Salicional 8′
Oktave 4′
Flûte 4′
Oktave 2′
Mixtur V 1 1/3′
Zimbel III 1/2′
Trompette harmon. 8′
Dulzian 8′
Tremulant
II – I mechanisch
II – I elektrisch
Pedalwerk C – f‘
Prinzipal 16′ X
Subbaß 16′
Oktave 8′
Flûte 8′ X
Flûte 4′
Bombarde 16′
Trompette 8′ X
II – P
I – P
Anmerkungen zur Baugeschichte der mechanischen Orgel der Pfarrkirche Namen Jesu in München
Die Schönheit und Qualität der Orgel ist abhängig von der Einhaltung und Beachtung senarischer Proportionen (Senar = aus 6 Jamben bestehendes lat. Versmaß). Diese Maxime gilt gleichermaßen für das Klangspektrum und die Architektur der Orgel.
Dem Instrument liegen bestimmte Maßverhältnisse zugrunde. Einmal sind es die Längenmaße der Pfeifenreihen, die nach Fußzahlen (1 Fuß = 30 Zentimer) bezeichnet werden. Die größten Pfeifen der gestaffelten Oktaven haben jeweils 1′, 2′, 4′, 8′ und 16′-Länge. Die Längenmaße der größten Pfeifen der übereinander gestaffelten Terz- und Quintlagen sind ebenfalls Teil einer geometrischen Reihe. Es treten weitere Maße in den Gesichtskreis: das Maßverhältnis des Querschnitts der Pfeifen eines Registers, die Höhe und Breite des Aufschnitts und sodann diese Maße in ihrem Verhältnis zueinander. Die Maßverhältnisse und Zahlen haben somit eine ästhetische Dimension.
So wie die Ganzheitlichkeit des Planetensystems darauf beruht, daß seine Glieder nicht nur im Sinne äußerer Kausalität aufeinander wirken, sondern sich wie in einem kosmischen Organismus wechselseitig durchdringen, so ist die Dispositon der Orgel mit ihren 28 Einzelregistern der Klangorganismus, deren Register nicht isoliert betrachtet werden können, weil mannigfaltige Wechselbeziehungen bestehen.
Zu Beginn der Orgelplanung im November 1991 stand im Mittelpunkt der überlegungen die Disposition als die Konzentration von Registern mit einer beispiellosen Vielgestaltigkeit geblasener Klänge, die sinnlich unvorstellbare Klangkombinationen und unvorstellbare Gegensätze innerhalb dieser Kombinationen bildet. Die Zielsetzung war klar: Ein variantenreicher, ganzheitlicher und warmer Klang, konturenplastisch und transparent – aber niemals aggressiv. Das führt zu einer Klangdichte, zu einer Schönheit des Klanges, die in einem guten Raum voll zum Tragen kommen. Dieser Gestaltungsprozeß ist zunächst rein intellektueller Art. Man kann sich auf Konstanten stützen. Außerdem vermag man mittels eines strengen Proportionssystems, die Größe ebenso wie die Intensität der Klänge zu berechnen, wobei ich weniger an Arithmetik oder Geometrie als an die dem Orgelbauer angeborene und unübertragbare Gabe des „Maßes“ denke. Zuerst wird jede Orgel mit dem Gehirn geschaffen. Sie entsteht aus der Verarbeitung einer gewissen Summe von Kenntnissen. Dann aber gleitet man in einen Bereich hinüber; ich meine den subjektiven Bereich des menschlichen Wesens. Bis zum Moment der Vollendung des Entwurfs, der Konstruktion meiner Orgeln kann man von Objektivität sprechen, zumindest, was die Methode der Kreation anbetrifft. Dann aber wird etwas anderes wirksam; die Formen und Klangfarben, die den Entwurf bestimmenden und gemeinsam geschaffenen Elemente, beginnen ihr Eigenleben zu führen und üben eine Wirkung aus, die sich nicht mehr allein an den Intellekt wendet.
Sobald die Orgel erklingt, wird sie von den Ohren registriert, und der Wahrnehmungsstrom wird zunächst zum Gehirn geleitet, aber es findet beim Hörer sofort eine Rückwirkung auf einen vagen und geheimnisvollen menschlichen Bereich, den Gefühlsbereich, statt. Von nun an haben wir die Ebene des Meßbaren verlassen. Die Faszination des Klangs der französischen Orgel des 19. Jahrhunderts ist auf die Disposition ebenfalls nicht ohne Einfluß geblieben. Die französische Bezeichnung von Klangräumen, weniger im Sinne spätromantischer Rauschzustände, mehr als Fortsetzung französisch-impressionistischer Klang-Tableaus – wirkt sich aber in keiner Weise dominierend aus. Dafür sorgen u.a. schon die aus fast reinem Zinn gefertigten Manual-Mixturen, deren figurative Lauffreudigkeit (Rößler) und gute Durchhörbarkeit für Transparenz und Klarheit sorgen.
Ich meine, daß ein zeitgenössischer Orgelbauer das gesamte Spektrum der Musik im Blickfeld haben muß und grundsätzlich keine Epoche ausgrenzen darf, auch wenn er sich damit manchem Puristen widersetzt. So würde es mich zum Beispiel freuen, wenn auf dieser Orgel auch gelegentlich die kleinen Werke (für die großen ist die Orgel zu klein) Max Regers erklingen würden, die für jedes Orgelwerk eine besondere Herausforderung darstellen. Regers Werke transparent zu machen, mißlingt bekanntlich auf den meisten Orgeln.
Von singulärer Bedeutung für die Klangqualität ist der Aufstellungsort, den ein Instrument im Kirchenraum erhält. Die ebenerdige Postierung vor der Westwand in der Mittelachse des Kirchenraums wurde von mir, nach der ersten Untersuchung des Kirchenraums, angestrebt. Den Gremien der Gemeinde bin ich dankbar, daß sie meinem Vorschlag zugestimmt haben. Vorausgegangen war eine Prüfung von vier weiteren Standorten.
Das gesamte Orgelgehäuse wurde aus massivem Whitewood handwerklich gefertigt. Für die großen Vollholzfüllungsflächen wurden liegende Gratleisten eingezogen, die das natürliche Arbeiten des Holzes ermöglichen. Ein Anliegen war es, auch eine gute architektonische Integration der Orgel in den Kirchenraum zu erreichen. Aus diesem Grund habe ich die stilbildenden Elemente des Kirchenraumes – wie etwa die Winkel der Raumdecke – in den Gehäuseentwurf einfließen lassen, um die Einbindung überzeugend zu erreichen.
Letztlich dient das Gehäuse aber primär der Harmonisierung der Eigenresonanz des Luftvolumens des Gehäusekörpers mit dem Frequenzband des Pfeifenwerks. Vornehmlich geht es dabei um den „drive zur Synchronizität“, also die sinnvolle Nutzung dieses bis heute recht wenig bekannten Naturphänomens, das sich überall in der Natur, im Kosmos und natürlich auch im menschlichen Leben ständig ereignet. Zur Struktur des Orgelprospektes gehört die ornamentale Gestaltung. Seinem Wesen nach ist das Ornament mit der Gegenstandsstruktur, auf die es appliziert wird, nicht identisch. Außerdem hat die Ornamentik auch eine wichtige akustische Funktion. Die negative Schärfe der obertonreichen Pfeifenreihen wird gedämpft und die Klangverschmelung gefördert. Darüber hinaus dienen die ornamental gestalteten Perforationen, unterhalb der Pfeifenfelder, der Vergrößerung der Abstrahlungsfläche für die Schallenergie und deren Rückkopplung auf das Pfeifenwerk, nachdem die Schallwellen durch die Raumwände, -decke und insbesondere den schallsensiblen Fußboden reflektiert worden sind.
Die Stimmung der Orgel ist gleichschwebend temperiert. Derzeitig hat es sich eingebürgert, auf die gleichschwebende Temperatur herabzusehen, weil sie mathematisch konstruiert sei. Aber die ursprüngliche Idee dieser Stimmung liegt ja in der Aufteilung des Tonraumes in exakt gleiche Abstände; und diese Idee entspricht der Quantenmechanik von Max Planck, wonach Wirkungen nur im Vielfachen einer kleinsten, nicht mehr zu teilenden Einheit ausgelöst werden können. Die Klanggestaltung wurde im Kirchenraum vorgenommen. Es ist ein warmer und konturenplastischer Klang angestrebt worden, der auch im Vollklang transparent bleibt. Auf die Ausbildung sublimer und charakteristischer Einzelklänge wurde besonders geachtet. Die Eignung für die Gemeindebegleitung ist das vorrangige Ziel der Arbeiten gewesen. Für die hörende Gemeinde ist das Instrument gebaut worden. Die von meiner Werkstatt praktizierte Intonation grenzt Musik verschiedener Epochen nicht aus, da die Klangarbeiten ganzheitlich angelegt werden. Es gilt der Grundsatz, daß Klangkultur und Klangfunktion wichtiger sind als eine auf einen bestimmten Stil gerichtete Konzeption. So wird das stereotype Kopieren bestimmter Instrument bzw. Stile vermieden. Ein Gegenbeispiel ist das kürzlich im Deutschen Museum aufgestellte Orgelwerk einer anderen norddeutschen Werkstatt, das als Stilplagiat gelten kann.
Bevor mit dem Bau der Orgelpfeifen begonnen wird, müssen die Mensuren feststehen. Mit den Mensurdaten wird die Klangtendenz einer Orgel festgelegt. Es geht dabei um die möglichst genaue Fixierung der Klangkomponenten Fülle, Kraft und Schärfe, wobei ich unter „Schärfe“ die exakte Bestimmung des Obertonaufbaues eines Registers verstehe, die „Mixtur des Tones“.
Um diese Klangeigenschaften bestimmen zu können, wurden Körpermensur (Durchmesser der Pfeifen), Umfang der Pfeife, Breite des Aufschnitts, Kernabstand (Kernspalte), Luftmenge, Wandungsstärke der Pfeife, Material usw. in einer Mensurenliste festgehalten. Dabei ging es mir um die autonome Bestimmung der einzelnen Maße.
Bei dieser Arbeit entstehen Maßverhältnisse, die grafisch darstellbar sind und sodann sichtbar werden als sensible Kurven. Diese „Kurvenmensuren“ führen insbesondere bei polyphoner Musik zu interessanten Ergebnissen: In jeder einzelnen Stimme (Register) – Sopran, Alt, Tenor, Baß – wird hörbar, wann sie sich in ihrer Mittellage befindet oder sich in höhere oder tiefere Lagen begibt. So verwandelt sich ein Tenor in einen Alt oder auch in einen Baß. Daß diese Stimmführung so gehört werden kann, ist ein Ergebnis der Kurvenmensur, vor allem aber der sinnvollen Beziehungen, die alle Höhenlagen miteinander aufrecht erhalten.
Die vielleicht wesentlichste Auswirkung ist, daß lange Zeit mit derselben Registrierung gespielt werden kann, ohne daß ein Wunsch nach Abwechslung in der Klangkombination entsteht. Denn die Klangfarbe wechselt ja in der Tat ständig nach Maßgabe der sich bewegenden Stimmen.
Diese Zeitkomponente aber ist eine ausgesprochen musikalische Errungenschaft. Sie hat mit Proportionen zu tun: mit klangräumlichen und zeitlichen an jenem Punkt, wo Tonhöhe und Tondauer untrennbar sind im vollendeten Instrument. Es handelt sich dabei nicht um irgendwelche Proportionen, sondern um harmonikale Verhältnisse, die mit Hilfe der ersten sechs Ganzzahlen inklusive ihren Reziproken und Multiplen gebildet werden. Bis zur Zahl sechs haben wir es mit einer geschlossenen Folge dem Tonsystem angehöriger Rationen: 1, 2, 3. 4. 5, 6 zu tun, während in der Zahl sieben die erste Ration auftritt, die die musikalische Kontinuität der Ganzzahlreihe unterbricht, was von da ab permanent geschieht – 7, 11, 13, 17 usw. .
Drei harmonikale Proportionen prägen das Klangbild der Orgel: 1 : 2 (Oktave), 2 : 3 (Quinte) und 4 : 5 (Terz). Die Dominanz der 1 : 2 Proportion – die der Oktave, ist der bei weitem überwiegende Zusammenklang mit der ausgeprägtesten Konsonanz. Diese Dominanz der 1 : 2 Proportion wird schlagartig deutlich, wenn man die Disposition studiert. 25 der 28 Register sind Oktaven (die Oktavchöre der Mixturen sind noch nicht mitgezählt). Nur zwei Register (Nasard 2 2/3′, Larigot 1 1/3′) bilden eine Quinte 2 : 3 und lediglich ein Register die Terz 4 : 5.
Das Wort harmonikal impliziert die Vorstellung, daß dieser Begriff ausschließlich auf die Harmonik der Musik bezogen ist bzw. auch auf die Harmonielehre. Es verhält sich aber genau umgekehrt. Die Harmonik der Musik wurde gebildet nach den Strukturgesetzen des Makro- und Mikrokosmos. „Die harmonikale Form, welche die Natur gestaltet, gestaltet auch unser Denken und Empfinden; die Denknormen, welche unsere Bewußtseins- und Empfindungsvorgänge gestalten, gestalten auch die Natur. Und den gemeinsamen Ausdruck findet diese allgemeine Morphologie im Hörbild selbst, das heißt im technisch-harmonikalen Ausdruck des Tongesetzes“ (Hans Kayser).
Der Entwurf der Orgel für die Kath. Pfarrkirche Namen Jesu (Pfeifenwerk, Tonkanzellenladen, Balganlage, Orgelgehäuse und Mensuren) gründet sich auf harmonikale Proportionen. Sie bilden damit das konstitutive Element für den Bau dieses Orgelwerks. Mit seiner Fertigstellung verfügt die Erzdiözese München und Freising über das erste Instrument mit ganzheitlicher Konzeption.
Ich wünsche der ganzen Gemeinde, die durch ihr tatkräftiges Engagement den Bau dieser Orgel erst ermöglicht hat, daß sie mit diesem Orgelwerk die Schönheit der Hörbilder des Naturklangs in ungetrübter Freude für eine lange Zeit erleben kann.
© G.C. Lobback, 1996