Ev-Luth. Kirche, Haselau
Disposition der Orgel II/20 (Lobback 2002)
Schleifenwindladen, Hauptwerk und Pedal durchschoben, mechanische Tasten- und Registertraktur, Doppelschleife
Stimmung: Neuendeich I
Disposition, Gehäuseentwurf und Mensuren: G. Christian Lobback
Pedalwerk C – f‘
1 Subbaß 16′
2 Octave 8′
3 Baßflöte 8′
4 Choralbaß 4′
5 Fagott 16′
6 Trompete 8′
5 Tritte (v. links): Midi, I – P, II – P, II 4′ – P, II – I
Manual I C – f“‘ (Hauptwerk)
7 Principal 8′
8 Rohrflöte 8′
9 Octave 4′
10 Spitzflöte 4′
11 Quinte 2 2/3′
12 Trichterflöte 2′
13 Mixtur V 1 1/3′
14 Trompete 8′
Manual II C – f“‘ (Schwellwerk)
15 Principal 8′
16 Gamba 8′
17 Gedackt 8′
18 Rohrflöte 4′
19 Octave 2′
20 Terzian II 1 3/5′
21 Oboe 8′
22 Regal 8′
23 Tremulant
Vom Beziehungszauber der Orgelpfeifen
Eintausendzweihundertvierundfünfzig Pfeifen gehören zum Klangkörper der neuen Orgel der Evangelischen Dreikönigskirche in Haselau. Die Pfeife ist die immer wieder benutzte Form, in die hinein ein genau festgelegtes Quantum an Windenergie strömt,um als Stoff des Klangs daraus hervorzugehen. Im Zusammenwirken von Pfeifenkörper und komprimierter Luft vollzieht sich eine Umwandlung. Eine gleichmäßige Windströmung verwandelt sich in der Orgelpfeife in eine dem Tonsystem (1) zugehörigen Schwingung. Und im Zusammenwirken von verschiedenen Pfeifen entsteht eine unvergleichliche Fülle von Kängen, ein ganzer Klang-Kosmos. Große atemberaubende Musik ist in ihm, eben durch dieses System entstanden.
Offensichtlich gibt es da auch eine Wechselbeziehung von Raum und Zeit. Sehr schnell wird deutlich: je länger eine Orgelpfeife, je größer also das räumliche Moment, desto tiefer der Ton, desto langsamer die Schwingungen, folglich um so niedriger das zeitliche Moment. Andererseits: je kürzer die Pfeifen, je niedriger das räumliche Moment, desto höher der Ton, desto schneller die Schwingungen, demzufolge: desto größer das zeitliche Moment. Sinngemäß hat HANS KAYSER das so formuliert: „Wenn das räumliche Moment, die Pfeifenlänge, sich verkleinert, so vergrößert sich das zeitliche Moment, die Schwingungszahl, und umgekehrt.“
Für mich als Orgelbauer hat der Ton eine andere Bedeutung als für den Physiker, der unter „Ton“ eine Luftschwingung im hörbaren Bereich von nur einer einzigen Frequenz versteht; eine Orgelpfeife erzeugt niemals nur eine einzige Frequenz. Die Grundschwingung jeder Orgelpfeife ist begleitet von zahlreichen höher liegenden Schwingungen (Frequenzen), deren Schwingungen ganzzahlige Vielfache der Grundschwingung sind. Die Anzahl und Intensität dieser „Oberschwingungen“ sind ausschlaggebend für die charakteristische Klangfarbe der Orgelpfeife. Somit ist klar, daß bereits eine Pfeife „Klang“ erzeugen kann, da sie über ein Obertonspektrum verfügt. „In der Musik dürfte man daher nur von Klängen reden, niemals von Tönen, weil weder die menschliche Stimme noch die Musikinstrumente einzelne Frequenzen erzeugen, sondern stets ein Frequenzgemisch hervorbringen.“ (2)
Zwischen den 1.254 Orgelpfeifen des Haselauer Instruments kommt es, sobald die Orgel erklingt, zu einem Beziehungszauber aufgrund eines Naturphänomens, das universal gültig ist. Wenn zwei oder mehr Orgelpfeifen in einem ähnlichen Schwingungsrhythmus pulsieren, neigen sie dazu, einzurasten, so daß sie genau synchron schwingen und eine Harmonisierung vollziehen. Dieses Phänomen ereignet sich überall und permanent in der belebten und unbelebten Natur. Dazu schreibt JOACHIM ERNST BERENDT: „In besonders beeindruckender Weise hat LEONHARD eine solche „Harmonisierung“ bei den Auftritten bedeutender Prediger zwischen Redner und Gemeinde beobachtet – etwa bei Martin Luther King. Eine Predigt kann… als „gelungen“ bezeichnet werden…, wenn die Gehirnwellen der Zuhörenden mit denen des Predigers synchron schwingen. Wie ein Körper zu empfinden und sich zu bewegen: diese Tendenz können wir auch bei großen Vogel- und Fischschwärmen beobachten. Der Schwarm verändert sich ständig – und bleibt doch auf faszinierende Weise wohlgeordnet, in „harmonisch“ wirkender Form.“ (3)
Ist es nicht eine schöne Vorstellung: Aus 1.254 einzelnen Pfeifen wird der rhythmisch pulsierende Klangkörper der Haselauer Orgel, der gleich einem Vogelschwarm über der Haseldorfer Marsch – dem Harmoniegesetz der Schöpfung folgt.
(1) Die Haselauer Orgel ist annähernd gleichschwebend temperiert worden. Wunderschön, schreibt J.E. BERENDT, wie sich KEPLER über die Intervalle in der temperierten Stimmung äußert: „… so daß keines rein bleibt und die Intervalle, die vollkommen sein sollten, durch eine kleine Einbuße an ihrer Vollkommenheit die Unvollkommenheit der übrigen verringern und mildern.“ (Harmonices Mundi Libri V, 3. Buch; deutsch: Weltharmonik in 5 Bänden, LV)
(2) DIETER KOLK, Zahl und Qualität, Abhandlungen zur Harmonik HANS KAYSERS (ISBN 3-906643-15-8), Seite 31
(3) JOACHIM -ERNST BERENDT, „Die Welt ist Klang“, (Rohwohlt Taschenbuch 7949, 1280-ISBN 3 499 179490), Seite 151 … Man hat Resonanz-Phänomene, „Harmonisierungen“ und verwandte Erscheinungen in den verschiedensten Bereichen entdeckt – in Architektur und Statik, in Elektrik und Akustik, in Psychologie und Psychotherapie, in Biologie und Chemie, in Medizin und Pharmakologie, in Physik und Astronomie. Harmonische Beziehungen einzugehen ist jedenfalls nicht nur das Ziel der Musik. Es ist Ziel von Atomen und Molekülen, von planetaren Umlaufbahnen, von Zellen und Herzen … und vor allem: von Menschen. Sie alle – will sagen: der Kosmos, die Schöpfung streben zum Klang… ! Die Forschung des Arbeitskreises Harmonikaler Orgelbau (AHO) hat den Nachweis erbracht, das u.a. die Orgelbauer Gottfried Fritzsche, die Gebrüder Silbermann und Arp Schnitger über ein großes harmonikales Proportionswissen verfügten und die Resonanzphänomene, wie oben beschrieben, sehr genau kannten. Die Konstruktion und das Klangkonzept ihrer Instrumente beweisen es.